Christiane Frohmann (Hg.) – Tausend Tode schreiben
Die Idee: 1000 AutorInnen schreiben 1000 kurze Texte über eine je subjektive Erfahrung mit dem Tod. Aus dem Zusammenwirken dieser Einzelstimmen entsteht so etwas wie ein transpersonaler Text, der Tod und Sterben in der heutigen Gesellschaft skizziert.
Text 382 (Pega Mund)
ani, mein kind, meine tochter ist tot.
davon geschlüpft in der nacht.
ratlos die ärzte, die geschwister verstört, verwüstet die eltern – wir, ich. im haus überall ihre sachen, als wär nichts geschehen, sie aber aufgebahrt im schmuck ihrer rotbraunen haare. ihr antlitz, ihr körper gezeichnet von den vergeblichen rettungsversuchen, von den schnitten der obduktion. lilien, lavendel, die verlässliche ruhe der kerzen. das buch von der meerjungfrau, aufgestellt zu ihren füßen. draußen: leuchtet der sommer, es ist der erste montag im monat august.
wir halten totenwache von montagabend bis mittwoch früh: schlafen bei ihr im raum hinter einem paravent auf dem boden. gehen tagsüber abwechselnd auch fort, es ist so viel zu regeln; ganz allein aber lassen wir sie nie.
in der ersten nacht der totenwache, von montag auf dienstag, wirkt ani wundersamerweise noch wie belebt; ihre ganze freundlichkeit und friedfertigkeit hat sie um sich herum, eine sonnenaura, an deren glanz wir wächter uns wärmen dürfen. wir sitzen bei ihr stunde um stunde, ohne müde zu werden; spielen auf der gitarre für sie, singen, beten, erzählen ihr ganzes leben nach in dieser nacht; sind euphorisch fast, als es tag wird, aufgeladen, erfrischt.
dann aber die zweite nacht, dienstag auf mittwoch, so ganz und gar anders, so grauenhaft schwer: deutlicher die verwesung; flecken, geruch; zierliche fleischwasserfarbene rinnsale kommen unter ihren geschlossenen lidern hervor, es sickert aus den wunden und schnitten und sie zerfällt dir weg nach unwiederbringlich, obwohl du doch bei ihr sitzest und betest und singst und immerzu hinschaust, ihr die augen abtupfst, die hände, die stirne wieder und wieder berührst; unverändert nur bleiben ihre prächtigen braunwelligen haare, du möchtest die locken abschneiden am liebsten, du willst dich nicht trennen von einem kind mit so schönen haaren – doch die kälte wächst trostlos in ihr, an ihr, wirklich, wirklich: frühmorgens endlich wie marmor weiß und glanzglatt ihr gesicht: jetzt eine maske, ein totes bild, die wärmende aura erloschen: ani ist endgültig fort, sie hat alles vergessen, sie kennt uns nicht mehr.
wir warn ihr nahe, gingen mit ihr bis zum äußersten grat, sahen ihre veränderungen: die spiegelten den weg, den sie zurücklegte auf ihrer reise von uns fort.
nun ist sie in der halle am friedhof, bald müssen wir ihren körper zurückgeben
der erde.
mir aber hängt der verwesungsgeruch in den haaren, lässt sich nicht auswaschen, weht mit auf schritt und tritt, dünn, ganz dünn, heimtückisch, wüst, unabweisbar und jetzt, jetzt gerade fühlt es sich an, als ob nichts mehr je wieder gut werden könnte.
– Pega Mund –
Man möchte ja kein „Gefällt mir“ setzen, obwohl du einen so eindringlichen Text geschrieben hast. Ich wünschte, du hättest ihn nicht schreiben müssen. Es tut mir so Leid. Alles Liebe.
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Sehr berührend dieser Text, sehr schmerzhaft. Wie Anhora schreibt: eindringlich. Und ja, Du entreißt sie dem Vergessen durch das Schreiben. Tröstlich, trotz allem, ist für mich dieser Satz: „ani ist endgültig fort, sie hat alles vergessen, sie kennt uns nicht mehr.“ Ich selbst habe das in einem Gedicht einmal so formuliert: Der Tod ist eine schnell heilende Wunde, die Narben die er hinterlässt, sind Sache der Lebenden. Es tut mir so Leid. Viel Kraft für Dich.
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Alles an diesem, Deinem Text geht mir unter die Haut… etwas vom Schwersten ist dieses Zurückbleibenmüssen hinter denen, die uns voraus eilen.
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Liebe Pega,
unwissentlich sind wir bei den 1000 Toden schreiben vereint. Unwissend war ich bisher, was den Tod deiner/eurer Tochter betrifft, alles andere haben Anhora, die Mützenfalterin und Pagophila schon vor langer Zeit geschrieben, es gibt nichts hinzuzufügen, nur dich zu halten…
ich danke dir, dass du auch dieses mit mir teilst, für mich ist das keine Selbstverständlichkeit!
herzliche Grüße
Ulli
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liebe ulli, auch ich wusste bislang nicht, dass du bei „1000 tode“ geschrieben hast. gibt es einen link zu deinem beitrag? ansonsten werde ich danach forschen …
herzliche grüße zu dir: pega
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Leider gibt es keinen Link, aber ich könnte ja mal die Tage den Text auf meinen Blog stellen, dann musst du nicht forschen!
liebe Grüße
Ulli
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oh, also – wenn du das wirklich tun willst und es auch für dich gut und richtig ist und stimmt: ja, sehr gerne läse ich so deins!
pegagruß!
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ja, es stimmt für mich, soeben habe ich es vorbereitet – hast du dort als pegamund geschrieben? Ich war gerade sehr erstaunt wen ich alles aus der Weite von Bloghausen fand.
liebe Grüße
Ulli
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ja, als Pega Mund hab ich da geschrieben.
lieben gruß!
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Ich habe dich gefunden!
Zum ersten Mal habe ich heute einige der Texte wirklich gelesen, deinen las ich ja schon vor kurzem bei dir, und ich finde es noch erstaunlich wie unterschiedlich diese Texte sind. Und doch musste ich dann aufhören, mir wurde es ein bisschen eng ums Herz.
Ich dachte noch, dass ich heute den Text anders schreiben würde, aber das ist wohl so…
Herzensgruß an dich
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geht mir auch manchmal so, ulli, dass ich texte nach einiger zeit wiederum verändern möchte … lieben gruß zu dir!
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Ich habe nun den Text rausgesucht und stelle ihn am Mittwoch ein…
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das ist gut.
danke, ulli!
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