Gertrud Kolmar, geboren am 10.12.1894 in Berlin als Gertrud Käthe Chodziesner, umgekommen im Frühjahr 1943 in Auschwitz.
Kolmar gebraucht die Texturen moderneferner Tradition. Ihr überwiegend vor 1933 entstandenes Werk ist teils hoch erotisch und überraschend un-„verschämt“ für diese sonst so spießige Zeit. Bemerkenswert und beeindruckend ist, welch reicher Vielzahl von Stimmen ihre Dichtung Rederaum gewährt; wohl eher weibliche Stimmen sind es und nicht unbedingt die Stimmen der vom Schicksal Begünstigten: die Verlassene, die Verworfene, die Unentschlossene, die Irre, die Fahrende, die Gauklerin, die Hässliche, die Gesegnete, die Drude, die Landstreicherin, die Räubertochter, die Troglodytin, die Blinde, die Hexe, das Freudenmädchen, die Kinderdiebin, die alte Jungfer, die Mörderin, die Einsiedlerin, die Lumpensammlerin, die Fremde. All diese weiblichen Gestalten, diese Randständigen, Ausgegrenzten, Verachteten, Geschmähten mögen vielleicht Aspekte der einen Kulminationsfigur sein: der Jüdin.
Das Abstoßende, Irre, Irrende zu thematisieren, das mag bei Kolmar wohl (auch) bedeuten, dass bestimmte gesellschaftliche und politische Gegebenheiten gespiegelt werden in ihren Werken, dass die Atmosphäre ihrer Zeit eingefangen und reflektiert wird.
In den frühen 30-er Jahren, nach der Machtübernahme jener Deutschen, in deren menschenverachtendem Vokabular „Geziefer“ eine so tödliche Rolle spielte, entsteht das Gedicht „Die Kröte„. Auch hier spricht eine weibliche Stimme, die eines fabelhaften Märchentieres, hinter dessen Larve anderes Funkeln sich verbirgt.
DIE KRÖTE
Ich horch‘ und schweige.
Zerr‘ mich an fingrigem BeinUnter fauliger Planke
Aus Morastigem Glied um Glied,
Wie versunkner Gedanke
Aus dem Wust, aus dem Schlamm sich zieht.
Durch Gekräut, um Kiesel
Hüpf ich als dunkler, bescheidener Sinn;
Tauiges Laubgeriesel,
Schwarzgrüner Efeu spült mich dahin.Ich atme, schwimme
In einer tiefen, beruhigten Pracht,
Demütige Stimme
Unter dem Vogelgefieder der Nacht.
Komm denn und töte!
Mag ich nur ekles Geziefer dir sein:
Ich bin die Kröte
Und trage den Edelstein …
So fürchterlich modernefern scheint mir das Gedicht von der Kröte gar nicht zu sein ….
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ja, da hab ich mich etwas unglücklich ausgedrückt mit dem „modernefern“. wollte einfach sagen, dass (für mein empfinden) GK eine ganz eigene sprache, einen eigenen „sound“ hat, unabhängig von ihrer zeit, von den (literarischen) strömungen ihrer epoche. LG!
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